Krieg der Körper: Sandra Hüller als „Penthesilea“ in Bochum

Bühne
Zwei Spielkinder im erwachsenen Spiel auf Leben und Tod: Penthesilea und Achilles, zu sehen am Bochumer Schauspielhaus. Sandra Hüller und Jens Harzer nehmen’s leicht und kosen Kleists Sprache. Bei ihnen klingt „Hass“ wie ein Tändeln.

Die Frau und der Mann tragen schwarze Trikotoberteile und Kleider wie Priesterröcke. Sie bewegen sich nervös wie Welpe und Fohlen, wippen, tänzeln, als sei das Schlachtfeld ein Tennisplatz: hier der zart besaitete Mann, der die Arme hoch über den Kopf hebt in einer graziös weichen Geste und matt vom Triumpf kündet, dort die elastisch gespannte Frau.

Aus dem Dunkel leuchtet es. Johan Simons zaubert das Blutstück aus dem Kampf um Troja in die Lüfte hinein. Nun schwebt es wie ein Mobile, schwerelos, frei, bereinigt von Zierrat und Pomp. An den Bühnenrand setzt Johannes Schütz als Grenze ein Lichtband, das sich verbreitert zum Leuchtboden, auf dem die Beiden gehen wie auf Eis. Ansonsten regiert die Nacht. Die übrigen Figuren des Dramas sind entfernt. Alles ist konzentriert auf die Amazone und den Held: Täter und Opfer in einem und im Wechsel.

Ach, die Götter werden schon aufpassen. Oder etwa nicht? Harzer wühlt in Hüllers Blondschopf, umfasst sie zärtlich, berauscht sich am Duft des eigenen Schweißes, winkt ab, wenn Gefahr zu drohen scheint. Die Vokale dehnend, kostet er das Leibliche aus, bis er nur noch in Unterhose und Stiefeln da steht und auch diese ablegt. Nun trägt er bloß ein Medaillon – seine ganz Rüstung.

Film
An ihr kommt man so schnell nicht vorbei - Sandra Hüller
Seit Jahren gehört sie zum Ensemblemitglied des Bochumer Schauspielhauses. Wir schauen auf ihre Filme, Projekte und Inszenierungen.

Hüller stolziert, stakst, singsangt im Mädchenton, spreizt die Beine im Spagat, pustet Harzer eine Haarsträhne fort, pfeift ihm wie Frauchen einem Schoßtier, krabbelt mit den Fingern auf ihm, um ihm die gelernte Lektion vom Gesetz der Amazonen vorzutragen, unfroh über den Ritus des mörderischen Rosenfestes. Sie repetiert Satz um Satz, um sich in Rage zu bringen, zerrt an sich, als sei ihr der Körpermantel aus Haut zu eng.

Sie knabbern und schmecken einander, noch in Lust oder schon im Jagdfieber und Irrsinn? Nichts in den packenden, betörenden zwei Stunden ist sich naiv gebende oder effektvoll schäumende Emotion. Jede Wendung, Empfindung, Stimmung, Körperhaltung, Begegnung ist einmal um die Welt gegangen und beglaubigt im Innersten. Hüller und Harzer sind stets reflektiert und liefern sich gleichzeitig mit jeder Faser aus.

Dann schlägt Sandra Hüller mit ihrer Stimme Alarm, wird zum Schrei und kleidet sich in die Schlachtmontur des Kampfgirls. Ihr Psycho-Drama aber bleibt hell. Der Krieg ihrer Körper wird von Johan Simons wiederholt – mit umgekehrten Rollen. Sie wird er. Er wird sie. Mit einem Verbeugen bittet Penthesilea ihn um Verzeihung und Achilles sie. Sie umfängt ihn. Er umfängt sie: Identitäts-Tausch und -Aufhebung. Und erlöst – im Spiel, wenn Hüller Harzer ins Dunkel abgehen. Nun darf es wieder beginnen. Aufs Neue. Auf ewig.

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